Namensgebung
In der Tradition anderer österreichischer Hausprojekte wollen wir auch auch unser Haus nach einer Widerstandskämpferin benennen. Johanna Wagner, unsere Namensgeberin, war eine Antifaschistin, Feministin und Aktivistin, die während des NS-Regimes in Innsbruck Widerstand leistete.
Johanna wurde 1922 in Leipzig als Tochter eines wohlhabenden Fabrikbesitzers geboren. Nach der Trennung der Eltern musste sie das Gymnasium abbrechen und sich in der Landwirtschaft verdingen, was durch eine Kinderlähmungsinfektion mit mehrmonatigem Klinikaufenthalt verunmöglicht wurde. Unterhaltsforderungen an ihren Vater wurden durch einen Einspruch vor Gericht von diesem abgelehnt, sodass Johanna die Hochschulreife nicht abschließen konnte. Stattdessen floh sie 1936 mit 16 Jahren allein nach Hall in Tirol. Die beharrliche Alimente-Verweigerung des Vaters erforderte, dass die Schülerin Unterkunft und Schulgeld durch Nebenverdienste bestreiten musste. Die schlechten Lebensumstände des jungen Mädchen wurden zusätzlich erschwert durch ihre angegriffene Gesundheit nach der Lähmung.
„Es ist erklärlich, dass mich dieses Erleben zu einer konsequenten, ausgeprägten Stellungnahme zu den Fragen des Lebens und der Gesellschaftsordnung kommen ließ, zu einer Zeit, in der andere weibliche Jugendliche meist noch uninteressiert daran sind. Aufgewachsen in den Spannungen zwischen materieller Not auf der einen und Überfluss auf der anderen Seite, erlebte ich den Klassenkampf bitter genug an mir selbst, sodass ich schon damals ausgeprägte Sozialistin wurde. Das erbärmliche Halbwissen, der Zwang, die Heuchelei und der Eingriff in das persönliche Leben durch den Nationalsozialismus stießen mich schon damals instinktiv ab.“
Aber auch die den Frauen von den Nazis zugeschriebene Rolle stieß Johanna sauer auf, denn es
„begegneten mir männliche Studenten genug, mit denen ich mich in intellektueller Hinsicht mindestens messen konnte (…). Der Standpunkt von der Zweitrangigkeit der Frau, die als Ehefrau und Nur-Mutter dem Mann untergeordnet werden sollte, widerstrebte mir daher grundsätzlich, und ich empfand dieses (…) als bittere Ungerechtigkeit.“
Weiters sah sie es „als Spott und als Hohn an, wenn eine Regierung, die nichts, aber auch gar nichts Positives für die sozial schlechter Gestellten unternahm, (…) sich ‚Arbeiterpartei‘ nannte“.
Nachdem Johanna für ein Stipendium wegen Nicht-Parteizugehörigkeit abgelehnt wurde begann sie sich gegen die Faschist*innen zu organisieren.
„Ab 1940 habe ich mich aktiv in den Kampf gegen den Nationalsozialismus eingeschalten unter Hintansetzung meines persönlichen Lebens“.
Nur oberflächliche Abneigung war nicht genug. Sie verfasste Flugblätter, versorgte ausgehungerte Zwangsarbeitende mit Essen, organisierte Räumlichkeiten und beschaffte Waffen und Munition für einen bewaffneten Aufstand gegen das Hitler-Regime.
Die Gruppe, in der Johanna Wagner aktiv war, wurde im November 1944 verhaftet. Johanna nahm in einem Alleingang alle Schuld auf sich und verhinderte dadurch die Deportation zweier Genoss*innen nach Dachau. Sie täuschte Schizophrenie vor und wurde in die Innsbrucker Psychiatrie eingewiesen. Durch einen Facharzt, ein Gesinnungsgenosse, der ihr eine abklingende Psychose attestierte, entging sie der Tötung durch die Nazis und wurde entlassen.
Johanna wurde exmatrikuliert und bei der Reichsbahn zwangsverpflichtet. Ungebrochen entwendete sie dabei schwere Waffen von den Nachschubszügen und brachte diese mit dem Fahrrad einer Widerstandsgruppe im 70km entfernten Ötztal.
Nach der Befreiung finanzierte sie Studium, ihre Mutter und sich selbst wie gewohnt durch Nebenjobs. Johanna gab Schreibmaschinenkurse und betrieb eine kleine Privatschule. 1984 nahm sie als 62-Jährige an der erfolgreichen Besetzung der Hainburger Au teil, eine Aktion mit grosser umwelt- und demokratiepolitischer Bedeutung für Österreich. So wurde sie Teil der erfolgreichen Verhinderung der Rodung und des Kraftwerkbaus. Das war das zweite Mal, nach der Absage des Kernkraftwerks Zwentendorfs, dass ziviler Ungehorsam in Österreich erfolgreich war.
Im Tiroler Widerstandsnarrativ nimmt Johanna Wagner keinen Platz ein, sogar der Opferstatus wurde ihr verweigert. Weder sie noch ihre engsten Mitstreiter*innen haben sich später öffentlich laut zu ihren Untergrundaktivitäten geäußert. Widerstand gegen das Nazi-Regime blieb schambehaftet, besonders, wenn er nicht religiös motiviert war.
Mit der Namensgebung wollen wir die mutigen Taten der Johanna Wagner unvergessen machen. Ihre revolutionäre Persönlichkeit, ihr Kampf gegen den Faschismus und ihr demokratisches Engagement sind uns ein großes Vorbild.
Einen ausführlicheren Bericht findet ihr in der österreichischen Zeitschrift Standard mit dem Titel: „Johanna Wagner: Die Frau, die mit Maschinenpistolen ins Ötztal radelte“.